Mit einer der ältesten Bevölkerungen der Welt steht Japan vor erheblichen Herausforderungen. Die Nachfrage nach medizinischer Versorgung und Langzeitpflege steigt kontinuierlich. Dies führt zu höheren Gesundheitsausgaben und stellt das System vor finanzielle Belastungen. Im Jahr 2021 machten die Gesundheitsausgaben etwa 11,5% des Bruttoinlandsprodukts aus (Ö: 11,4%). Die kaufkraftbereinigten pro-Kopf-Ausgaben liegen in Japan allerdings fast 30% unter jenen Österreichs.
Versicherungsmonopol
In Japan gibt es nur eine zentrale, staatliche Krankenversicherung (SHIS – Statutory health insurance system), über die mehr als 98% aller Japaner:innen versichert sind. Der Rest ist über ein getrennt organisiertes öffentliches soziales Hilfsprogramm für Menschen in Armut versichert. Es ist damit quasi unmöglich nicht versichert zu sein. Gesundheit wird in Japan zu 84% von der öffentlichen Hand finanziert und zwar überwiegend von der Krankenversicherung.
Innerhalb des SHIS gibt es sogenannte Arbeitnehmer Versicherungspläne, von denen etwa 60% der Bevölkerung erfasst sind. Die Kosten der Versicherung tragen in diesen Plänen für gewöhnlich anteilig Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Rest ist in wohnortspezifischen Versicherungsplänen erfasst, die für alle 47 Präfekturen anders ausfallen. Unterschiede in den verschiedenen Versicherungsplänen gibt es z.B. bei der Prämienhöhe und Zuzahlungen. Die Höhe der Versicherungsbeiträge ist unterschiedlich und beträgt in Arbeitnehmer Verträgen um die 10% vom Einkommen (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil). Auch Selbstständige und Pensionisten zahlen Beiträge, die ihrem Einkommen entsprechen. Patienten tragen in der Regel 10-30% der Behandlungskosten selbst. Dennoch liegen die privaten Out-of-pocket-Zahlungen in Japan niedriger als in Österreich. Die Leistungen sind hingegen für alle Versicherten des SHIS identisch und werden vom Staat vorgegeben. Private Krankenversicherungen sind zwar beliebt, sie werden jedoch lediglich für Zusatzleistungen abgeschlossen.
Ärzte
Die Zusammensetzung der Ärzteschaft stellt sich in Japan völlig anders dar als in Österreich. Zum einen gibt es kaum Allgemeinmediziner, Hausärzte sind eher unüblich. Japaner gehen bei Problemen oft direkt zum Facharzt oder ins Spital. Die Ärztedichte liegt in Japan bei 2,6 pro 1.000 Einwohner (Ö: 5,5), dafür kommen auf 1.000 Einwohner 12,1 Pflegekräfte (Ö: 10,6).
Das in Europa häufige Problem des Landarztmangels gibt es in Japan nicht: im Gegenteil gibt es hier oftmals im städtischen Bereich Probleme mit der ärztlichen Grundversorgung. Das liegt daran, dass Leben und Arbeiten im ländlichen Bereich von japanischen Ärzten als angenehmer, stressfreier und erfüllender empfunden wird. Insgesamt sind Wartezeiten auf Arzttermine in Japan sehr kurz und Ärztemangel kein Thema. Die Regierung begrenzt sogar die Arztzahlen aktiv, indem sie die Ausbildungszahlen für Humanmedizin vorgibt. Zudem kostet ein 6-jähriges Medizinstudium an einer öffentlichen Universität 30.000€, an einer Privatuni ein Vielfaches davon.
Spitalslastig
Wer denkt, Österreich wäre mit 5,5 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner ein krankenhauslastiges Land, den werden die 12,6 Betten pro 1.000 EW in Japan sicherlich überraschen. Japaner weisen eine fast doppelt so lange Verweildauer im Krankenhaus auf als Österreicher und andererseits auch viele Belagstage in der Psychiatrie. Generell gibt es einen freien Zugang zu Krankenhäusern, allerdings existiert eine Gebühr bei Selbsteinweisungen. 80% der Häuser sind in privaten Händen und völlig frei in ihren Managemententscheidungen. Lediglich die Leistungsabrechnung ist staatlich vorgegeben und funktioniert ähnlich unserem LKF-System.
Prävention
Sieht man auf das hohe Alter und auch die gute Gesundheit der Menschen in Japan, lässt dies auf ein leistungsfähiges Gesundheitssystem schließen. Prävention und Gesundheitsförderung haben in Japan einen hohen Stellenwert. Zahlreiche Programme fördern gesunde Lebensstile und regelmäßige Gesundheitschecks für alle Altersgruppen, die oft sogar verpflichtend sind. Diese präventiven Maßnahmen tragen dazu bei, die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und langfristig Kosten zu sparen. Dazu kommt eine Gesundheitskultur, in der etwa traditionelle japanische Badehäuser eine wichtige Rolle einnehmen.
Herausforderungen
Wie schafft es Japan, ein vergleichsweise günstiges Gesundheitswesen mit hervorragenden Ergebnissen zu erhalten, das sich auch noch um eine Vielzahl alter Menschen kümmern muss? Auch wenn die Monopolstellung der Krankenkasse in Japan häufig kritisiert wird, sorgt sie wahrscheinlich für die effiziente zentrale Bündelung eines einfachen Systems, in das alle einzahlen. Auch der bis zu 30% hohe Selbstbehalt hat vermutlich eine steuernde Wirkung. Natürlich wirken sich aber die traditionell gesunde Ernährungs- und Lebensweise der Japaner, sowie die Vielzahl der präventiven Maßnahmen sicherlich positiv aus.
Die immer weiter alternde Bevölkerung stellt das Gesundheitswesen dennoch vor Herausforderungen, denn die Verschiebung der Alterspyramide von einzahlenden Menschen, hin zu nicht arbeitenden, kränkeren Alten lässt eine Finanzierungslücke entstehen. Hinzu kommt eine nachlassende Wirtschaftsleistung. Derzeit wird diese mit Steuermitteln ausgeglichen, Reformen werden allerdings nicht ausbleiben. So wurde schon 2015 die Vision „Health Care 2023“ ins Leben gerufen, die als eine der Key-Faktoren bis 2020 die Schaffung eines Primärversorgungssystems mit koordinierenden Hausärzten setzte. Bis 2035 sollen One-Stop-Gesundheitszentren entstehen, die Menschen ganzheitlich behandeln.
Mag. Katharina Wieser
Linzer Institut für Gesundheitssystem-Forschung
www.ligforschung.at