VON AUSSEN BETRACHTET: Einheitlicher Leistungskatalog und einheitliche Tarifordnung – der Unterschied machts aus

Seit der Kassenfusion ist immer die Rede davon, dass es für die ÖGK einen österreichweit einheitlichen Gesamtvertrag geben soll. Was wahrscheinlich legitim ist und von der Bundeskurie in der Österreichischen Ärztekammer auch sofort aufgegriffen wurde, ist das Anliegen eines österreichweit einheitlichen Leistungskatalogs. Es war immer Auffassung der Bundeskurie, dass es den PatientInnen nicht zumutbar und auch von der Ärzteschaft nicht gewünscht ist, dass es Leistungen gibt, die in einem Bundesland auf E-Card verrechenbar sind und in einem anderen Bundesland wieder nicht. Die Bundeskurie hat daher in einem sehr mühsamen Prozess einen Vorschlag für einen österreichweiten Leistungskatalog entwickelt und, bisher aber dem Vernehmen nach ohne konstruktive Reaktion, der ÖGK übermittelt.

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Ein ganz anderes Thema ist die auch immer wieder ins Spiel gebrachte österreichweite Vereinheitlichung der Honorare. Den PatientInnen selbst wird dieses Thema zwar kaum wichtig sein. Die PatientInnen interessiert, welche Leistung sie auf E-Card bekommen und nicht, was die Kasse dem/der Arzt/Ärztin bezahlt. Kassenvertreter versprechen sich von der einheitlichen Honorarordnung allerdings Einsparungen. Auch manche Ärzte erhoffen sich von einer einheitlichen Honorarordnung Wunderdinge und in den Medien ist davon die Rede, dass damit die Kassenmisere bewältigt werden könnte. 
Tatsächlich wird es eine österreichweit einheitliche Honorarordnung auch mittelfristig mit ziemlicher Sicherheit nicht geben.

Und zwar nicht deshalb, weil – wie in den Medien zu lesen ist – die Landesärztekammern gegen den Abschluss einer österreichweit einheitlichen Honorarordnung ein Einspruchsrecht hätten. Seit dem unglückseligen Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024, bei dem es zu einer empfindlichen Schwächung der Position der Ärzteschaft gegenüber der Krankenkasse gekommen ist, ist die Möglichkeit der Landesärztekammern, für ihr Bundesland eine eigene Tarifordnung zu verhandeln, ohnehin schon abgeschafft. Bis zum Abschluss einer bundeseinheitlichen Tarifordnung bleiben allerdings (eine Alternative gibt es ja gar nicht) die in der Vergangenheit bundesländerweise verhandelten Gesamtverträge aufrecht. Eine neue bundeseinheitliche Tarifordnung für die ÖGK würde voraussetzen, dass die Vertretung der Kassenärzte in der Österreichischen Ärztekammer einer solchen zustimmen, also konkret die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte. Die Bundeskurie besteht aus den jeweiligen Kurienspitzen der Landesärztekammern. Man kann trefflich darüber streiten, ob es eine Frage der Gerechtigkeit wäre, in ganz Österreich dieselben Tarife zu bezahlen. Man kann daran zweifeln, weil auch die Praxiskosten im Burgenland anders sind als in Vorarlberg. Vor allen Dingen aber haben die gewählten Vertreter der Länderkurien die Aufgabe, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder in den Bundesländern zu wahren. Und es wird wohl für Kassenärzte, die beim Umstieg auf eine bundesweit einheitliche Honorarordnung Abstriche machen müssten, ein schwacher Trost sein, wenn sie dann gerechterweise denselben Tarif erhalten wie der Rest von Österreich.

Das Problem ist ganz einfach, dass die Tarife der historisch gewachsenen Honorarordnungen streuen. Das gilt weniger hinsichtlich des Durchschnittshonorars. Wenn es auch hier von Bundesland zu Bundesland Unterschiede gibt, fallen diese deshalb nicht so empfindlich aus, weil immer schon Honorarverhandeln letztendlich die Verteilung des Zuwachses an Kassenbeiträgen bedeutete, und sich dieser Zuwachs zwischen den Bundesländern auch nicht so großartig unterschieden hat. Deutlich größer ist schon der Unterschied, wenn man mehr ins Detail geht und die Durchschnittshonorare je Fachgruppe vergleicht. Das liegt daran, dass die ausgehandelten Mittel in den Bundesländern über viele Jahrzehnte mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingesetzt wurden. Das mag zum Teil Zufall, vielleicht manchmal auch Folge der unterschiedlichen standespolitischen Stärke einzelner Gruppenvertreter gewesen sein, vor allem aber spiegelt es unterschiedliche regionale Rollen wider. Die Rolle eines Hausarztes und sein Leistungsspektrum in einem Ballungsgebiet mit vielen Fachärzten ist eine andere als in ländlichen Gebieten. Das erklärt wahrscheinlich auch, weshalb die Wiener Allgemeinärzte im Vergleich zu Allgemeinärzten in den anderen Bundesländern beim Durchschnittshonorar schlechter abschneiden als Wiener Fachärzte im selben Vergleich. Aber auch die Rollenverteilung zwischen der ambulanten Versorgung durch Spitäler und durch Kassenärzte ist aus strukturellen, aber auch historischen Gründen in den Bundesländern verschieden. Es gibt Fachbereiche wie beispielsweise die Histologie, die in einigen Bundesländern weitgehend über Institute und Spitäler abläuft und in anderen wieder unter stärkerer Beteiligung von Kassenärzten. Was immer der Grund ist, diese Streuung gibt es. Kaum ein Vertreter einer Landeskurie wird es sich in der Bundeskurie erlauben können, Fachgruppen seines Bundeslandes fallen zu lassen, selbst wenn ein Umstieg auf ein österreichisches System für die Mehrheit einen Vorteil bringen würde.

Damit ist aber die Komplexität auch noch nicht vollständig beschrieben. Wieder aus historischen und strukturellen Gründen streuen noch mehr als die Durchschnittseinnahmen der Fachgruppen die Tarife der einzelnen Leistungspositionen. Eine österreichweite Vereinheitlichung der Tarife führt zu weiteren Verwerfungen, weil das Abrechnungsverhalten jedes einzelnen Kassenarztes unterschiedlich ist. Das hat wieder damit zu tun, dass -und hierin liegt genau der Sinn der Therapiefreiheit - jeder Arzt seinen eigenen Behandlungsstil hat, aber natürlich auch damit, dass nicht jeder Patient gleich krank ist und dasselbe benötigt. Selbst wenn daher der Durchschnitt einer Fachgruppe im Rahmen einer gesamtösterreichischen Honorarordnung dasselbe bekommen würde wie vorher, wäre mit Sicherheit damit zu rechnen, dass ein Teil der Fachgruppenmitglieder verliert.

Die Mitglieder der Bundeskurie, also die Vertreter der Landeskurien könnten einer neuen einheitlichen österreichweiten Honorarordnung wohl nur dann zustimmen, wenn diese zumindest für die allermeisten Ärzte ihres Bundeslandes von Vorteil wäre. Wegen der beschriebenen Streuung (weniger wegen der nicht so enormen Unterschiede im Durchschnittseinkommen als vielmehr wegen der großen Unterschiede bei den einzelnen Leistungspositionen) würde eine Vereinheitlichung auf höchstem Niveau, die bei den Kassenärzten zu keinen Verlierern führen würde, für die ÖGK eine enorme finanzielle Zusatzbelastung bedeuten. Es ist einzuräumen, dass gerade die letzte deutliche Beitragserhöhung bei den Pensionisten gezeigt hat, dass der Gesetzgeber bereit ist, den Krankenkassen erhebliche zusätzliche Finanzmittel zu verschaffen. Trotzdem ist kaum zu erwarten, dass die ÖGK in der Lage und auch nur willens ist, für eine einheitliche Honorarordnung auf höchstem Tarifniveau die nötigen Zusatzmittel einzusetzen. Was viel realistischer ist, ist eine einheitliche Honorarordnung auf Durchschnittsniveau. Das würde rein statistisch natürlich zu Gewinnern innerhalb der Kassenärzteschaft führen, aber auch statistisch notwendigerweise zu einer in etwa ebenso großen Anzahl von Verlierern. Es ist schwer vorstellbar, dass dem die Vertreter der Kassenärzte zustimmen würden.

Diesen gordischen Knoten könnte vermutlich nur der Gesetzgeber gegen den Willen der Vertreter der Ärzteschaft lösen. Es fragt sich allerdings, wozu? Was die ÖGK dabei gewinnen kann, ist vernachlässigbar. Sicherlich würden die Kassenverhandlungen für die ÖGK einfacher werden, allerdings gibt es Kassenverhandlungen (selbst wenn das mehrere Runden bedeutet) höchstens einmal im Jahr. Natürlich bräuchte man dann nicht neun verschiedene Honorarordnungen für die Kassenabrechnung einpflegen. Aber die dafür benötigten Abrechnungsprogramme gibt es und das Warten dieser Programme zum Einpflegen der Kassenverhandlungen ist ein überschaubarer Aufwand. Die mit einer einheitlichen Honorarordnung erzielbaren Einsparungen wären daher nicht einmal der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Umgekehrt würde eine einheitliche Honorarordnung mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, dass große Teile der Ärzteschaft Honorareinbußen hinnehmen müssten. Gerade in der derzeitigen sensiblen Situation, in der die Politik um jeden Arzt/ jede Ärztin froh sein muss, der/die bereit ist, einen Kassenvertrag zu übernehmen, ist schwer vorstellbar, dass ein derartiges Risiko eingegangen wird.
Ob man sich aus Gerechtigkeitsgründen eine einheitliche Honorarordnung herbeiwünscht oder nicht: es wird keine geben, weil die damit verbundenen Kollateralschäden viel zu groß wären.

Felix Wallner, LIG
Der Artikel gibt die persönliche Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der Meinung der Ärztekammer für OÖ decken muss.