Viele Menschen gehen mit gesundheitlichen Anliegen zum Facharzt, die eigentlich auch beim Hausarzt gelöst werden könnten. Hausärzte sind hochqualifizierte Mediziner und können mehr medizinische Fälle selbstständig behandeln als vielen Patient:innen bewusst ist. Viele Allgemeinmediziner:innen verfügen etwa über ein Ultraschallgerät, einen Apparat zur Lungenfunktionsprüfung, ein EKG-Gerät oder ein Auflichtmikroskop zur Hautkrebsfrüherkennung. Rund 80 Prozent der Patienten können laut Margit Kollmer (Bezirksvorsitzende für Niederbayern im Hausärztinnen- und Hausärzteverband) beim Hausarzt abgeklärt werden. Dazu kommt, dass Menschen ihre Gesundheitsprobleme des öfteren falsch einschätzen und sich etwa eine plötzlich auftretende Schwerhörigkeit als ein durch Ohrenschmalz verstopfter Gehörgang herausstellt. Da braucht es dann keinen HNO-Arzt, sondern nur einen Besuch beim Hausarzt.
Gibt es ausreichend Hausärzte?
Die Theorie klingt gut: Fachärzte werden entlastet, Patienten können niederschwellig versorgt werden und das Gesundheitssystem spart Geld. Allerdings hakt es an einem wesentlichen Punkt: nämlich einer zu geringen Zahl an Hausärzten und einer hohen Auslastung der bestehenden Primärversorgungspraxen. Laut dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung würden im Primärversorgungsmodell pro Sprechstundentag 2 bis 5 zusätzliche Patienten auf die Hausarztpraxen zukommen. Ist das bei einer ohnehin schon hohen Auslastung machbar? Vor allem auf dem Land, wo die Hausarztdichte gering ist, könnte es schwierig werden.
Die Details
Die Regierung in Deutschland möchte ein verbindliches Primärarztsystem etablieren, mit freier Auswahl von Haus- und Kinderärzten. Ein eventueller Bedarf für einen Facharzttermin soll dann von diesen Primärärzten festgestellt werden – inklusive zeitlichen Korridor. Ein freier Zugang soll weiterhin für Gynäkolog:innen und Augenärzt:innen bestehen.
Dafür soll es eine Art „Termingarantie“ für Fachärzte geben: bekommen Patient:innen keinen Facharzttermin und werden auch über die Terminservicenummer 116 117 der kassenärztlichen Vereinigung nicht fündig, besteht Anspruch auf eine ambulante Behandlung im Spital.
Das Primärarztsystem soll allerdings nur für gesetzlich Versicherte eingeführt werden, was für politischen Sprengstoff sorgt. Die kassenärztliche Vereinigung und der Hausärztinnenverband unterstützen den Plan der Regierung. Der Chef der Fachärzteverbands Spifa, Dirk Heinrich, warnt jedoch aufgrund der hausärztlichen Kapazitäten vor einem Supergau für die medizinische Versorgung. Fachleute warnen, dass das neue Gesetz in der Öffentlichkeit nur als Verbot der freien Arztwahl wahrgenommen werden könnte.
Fakt ist, dass auch deshalb lange Wartezeiten für Facharzttermine gibt, weil sie einer Honorardeckelung (der sogenannten Budgetierung) unterliegen, die für den hausärztlichen Bereich noch von der letzten Regierung aufgehoben wurde. Viele Fachärzte lehnen aufgrund dieser Budgetierung neue Patient:innen ab, weil sie für diese Leistungen nichts mehr bezahlt bekommen.
Und: ein Primärarztsystem auf freiwilliger Basis gibt es in Deutschland bereits, denn die gesetzliche Krankenversicherung ist dazu verpflichtet ein Hausarztmodell anzubieten, wo Fachärzte nur mit hausärztlicher Überweisung aufgesucht werden können. Derzeit sind mehr als zehn Millionen Versicherte in einem solchen Modell eingeschrieben.
Ein detaillierter Gesetzesentwurf liegt für das Primärarztsystem noch nicht vor. Unklar ist beispielsweise, was geschieht, wenn sich Patient:innen nicht an den vorgeschriebenen Weg halten. Sollen „Systemverweigerer“ zahlen? Auch müssen noch Lösungen für Patienten mit chronischen Erkrankungen gefunden werden. Hier könnten Jahresüberweisungen zu einem Facharzt helfen oder Fachinternisten als steuernde Primärärzte eingesetzt werden. Auch dir Vergütung muss noch erarbeitet werden. Zeitlich wäre frühestens 2027 mit dem neuen Primärärztesystem zu rechnen.
Quellen
tagesschau.de vom 26.06.2025
Taz.de vom 03.07.2025
wdr.de vom 27.05.2025


