Auf ein Wort – Reden über Gesundheitspolitik: Ärztebedarf in Österreich – Ein Blick in die Zukunft

Am 7. November 2022 lud das Linzer Institut für Gesundheitssystem-Forschung LIG zum bekannten Format „Auf ein Wort“ ein. Dieses Mal widmete man sich dem brennenden Thema des künftigen Ärztebedarfs. Zur Vorbereitung der Podiumsdiskussion wurden unter anderem interessante Simulationsergebnisse von Niki Popper präsentiert.

Schon seit geraumer Zeit ergibt sich die Behandlungskapazität eines Spitals nicht mehr aus der verfügbaren Bettenzahl, sondern vielmehr aufgrund von (nicht) vorhandenen Personalressourcen. Und auch im niedergelassenen Bereich bleiben Plan-Kassenstellen immer öfter unbesetzt. Angesichts dieses eklatanten Ärztemangels stellt sich die Frage: Wie viele Ärztinnen und Ärzte müssen in Zukunft ausgebildet werden, damit man diese Lücken füllen kann und Patientinnen und Patienten weiterhin gut versorgt werden können?

Simulationsergebnisse

Vom Beginn des Medizinstudiums bis zum selbstständig tätigen Arzt dauert es 12 Jahre. Das heißt, dass es auch einen Planungshorizont über diesen Zeitraum braucht. Der Simulationsexperte Dr. Niki Popper hat daher mit seiner Kollegin DI Claire Rippinger eine Simulation der ärztlichen Versorgung bis ins Jahr 2050 für das LIG erstellt.  Eines zeigt sich dabei ganz deutlich: In den kommenden Jahren werden wir mit weniger Kapazitäten auskommen müssen. Besonders betroffen ist der kassenärztliche Bereich, für den man bis 2030 über alle Fächer hinweg ein Minus von über 20 Prozent an Vollzeitäquivalenten erwarten muss.

Prognose Fächer

Nach Fachrichtungen gegliedert zeichnet sich ein besonders negatives Bild für den Bereich der Orthopädie und Traumatologie. Eine Begründung dafür lieferte OÄ Mag. Dr. Elisabeth Bräutigam, ärztliche Direktorin der Barmherzigen Schwestern in Linz: „Seit der Zusammenlegung der Fächer Orthopädie und Traumatologie erlebe ich, dass sich immer weniger Jungärztinnen und -ärzte für dieses Fach entscheiden, weil Traumatologie auch Akutmedizin bedeutet und die Arbeitszeiten daher weniger planbar sind als in der Orthopädie.“

Im niedergelassenen Bereich werden in der Allgemeinmedizin im Jahre 2030 laut Prognose nur noch 85 Prozent der heutigen Vollzeitäquivalente medizinisch tätig sein und im Spital wird es in diesem Fach ebenso zu einem starken Minus kommen. Mit deutlichen Rückgängen muss auch in der Augenheilkunde und der HNO gerechnet werden. In der Kinder- und Jugendheilkunde, der Inneren Medizin, der Radiologie oder der Neurologie ist das Interesse an den Ausbildungsstellen hingegen derzeit hoch, wodurch der pensionierungsbedingte Personaleinbruch im Spital nur kurzfristig spürbar sein wird. „Im niedergelassenen Bereich werden diese zusätzlichen Fachärztinnen und -ärzte aber erst viel später ankommen, da eine Niederlassung typischerweise erst in späteren Berufsjahren angestrebt wird“, so Popper.

Von links: Mag.pharm. Thomas Veitschegger, Direktor Mag. Jakob Hochgerner, KAD Hon.-Prof. Dr. Felix Wallner, Dr. Cornelia Sitter, KO Dr. Harald Mayer, Präsident Dr. Peter Niedermoser, Univ.-Prof. Dr. Bernd Lamprecht

Mehr Studienplätze

Um den Ärztemangel zu entschärfen empfehlen Popper und Ripplinger für die nächsten zehn Jahre eine Erhöhung der Studienplätze um 100 bis 300 pro Jahrgang. Jedoch sei dies aufgrund der langen Ausbildungsdauer keine Lösung für das Problem des kurzfristigen Ärztemangels, der sich aufgrund der Pensionierungswelle ergebe. Es brauche für diese Zeit andere Lösungen, wie eine Verschiebung der vorhandenen Kräfte zwischen Fächern (sofern möglich), den Zuzug von Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland oder durch Mehrarbeit des vorhandenen Personals.

Schutzquote anpassen

EU-rechtskonform sind derzeit 75 Prozent der Studienplätze in Österreich für Inländerrinnen und Inländer reserviert, was bedeutet, dass ein beträchtlicher Teil der Medizinabsolventinnen und –absolventen nicht hierzulande, sondern in ihrem Heimatland (überwiegend Deutschland) tätig wird. „Will man die Quote österreichischer Studentinnen erhöhen, könnte man diese mit Begründung des gesteigerten Bedarfes an ärztlichen Kräften im Inland anpassen, da der Schutz des Gesundheitssystems als vorrangig einzustufen ist.“, erklärt Kammeramtsdirektor Hon.-Prof. Dr. Felix Wallner in seinem Vortrag. Hierfür wäre eine kontinuierliche Planung des Bedarfs eine unerlässliche Voraussetzung.

Dropout hinterfragen

„Eine richtige Nachwuchsplanung für das Gesundheitspersonal gibt es in Österreich derzeit nicht, sondern man geht schlicht davon aus, dass die Anzahl der Studienplätze den Bedarf in Zukunft decken wird“, informieren Dr. Hanna Faist und Dr. Christoph Steinacker von der Österreichischen Ärztekammer. Dabei wäre eine Planung für die künftige Versorgungssituation entscheidend, denn 44 Prozent der Ärzteschaft erreichen in den nächsten 12 Jahren das Pensionsalter und immer mehr Ärztinnen und Ärzte legen ihren Beruf nieder bevor sie das Pensionsalter erreicht haben. Gleichzeitig schrumpft der Ärztenachwuchs. Etwa 30 Prozent der Medizinabsolventinnen und -absolventen werden nicht ärztlich tätig – zumindest nicht in Österreich. Es wäre wichtig die Gründe für das Ausscheiden bzw. nicht-Tätigwerden zu hinterfragen und darauf aufbauend attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Versorgungsrelevanz

Immer mehr Medizinerinnen und Mediziner arbeiten in Teilzeit. Bei den Turnusärztinnen und -ärzten betraf das zuletzt fast eine von zehn Personen. „Nicht nur Junge entscheiden sich heute öfter für die Teilzeit, sondern auch bei Älteren ist der Wunsch nach einer Teilzeittätigkeit im Steigen begriffen“, zeigen Faist und Steinacker auf. Ein Grund dafür könnte die zunehmende Arbeitsbelastung sein. Die reine Kopfzahl der ärztlichen Kräfte ist jedenfalls keine verlässliche Zahl mehr für eine Versorgungsplanung, sondern es muss die tatsächliche Versorgungsrelevanz mit einbezogen werden. Und dafür ist nicht nur das Ausmaß der Beschäftigung auschlaggebend, sondern auch, wie die „Ressource Arzt“ eingesetzt wird. Hier kommen beispielsweise Überlegungen zum Task-Shifting (=Delegierung von Aufgaben an andere Berufsgruppen) und mögliche Entlastungen durch Digitalisierungsmaßnahmen zum Tragen.

Ebenfalls ein durchaus relevanter Faktor für die medizinische Versorgung liegt in der Zuwanderung von Medizinerinnen und Medizinern aus dem Ausland. Der Zustrom hat sich in den letzten Jahren erhöht – vor allem aus Ost- und Südeuropa. Auf diese Gruppe wird in Zukunft ein besonderer Fokus zu legen sein.

Podiumsdiskussion

Univ.-Prof. Dr. Bernd Lamprecht, Stv. Dekan für Lehrende und Studierende in der Medizinischen Fakultät Linz, ist der Meinung, dass es einen ganzen Mix aus verschiedenen Ansätzen brauchen wird, um das Problem des Ärztemangels anzugehen. Die Anzahl an Studenten könne zumindest in Linz nicht einfach ausgeweitet werden. Das bestehende Raumkonzept, vor allem aber der Kleingruppenunterricht am Patientenbett ließen das nicht so einfach zu. Er sei aber davon überzeugt, dass viele Ärztinnen und Ärzte mehr arbeiten wollten, wenn das Arbeitszeitgesetz dies ermöglichen würde. Auch Bräutigam sieht hier Aufholbedarf: „Flexibilität muss in beide Richtungen gehen. Einerseits sind die Krankenhäuser natürlich dazu bereit neue Teilzeit-Modelle anzubieten, aber auch für Mehrarbeit muss ein legaler Rahmen geschaffen werden, der sich mit der Realität deckt.“

Von links: Präsident Dr. Peter Niedermoser, Dr. Arno Melitopulos, Dr. Cornelia Sitter, Univ.-Prof. Dr. Bernd Lamprecht, OÄ Mag. Dr. Elisabeth Bräutigam, Dr. Niki Popper

Arbeitsbedingungen

Die ärztliche Direktorin gibt zudem Einblicke, woran es liegen könnte, dass manche Fächer weniger attraktiv sind als andere. „Wenn ein Fach keine Möglichkeit für eine Niederlassung bietet oder das Fach nur in wenigen Spitälern angeboten wird, dann schränkt das die Möglichkeiten für eine spätere Berufslaufbahn ein und das Fach wird weniger gerne gewählt. Dr. Cornelia Sitter, Turnusärztevertreterin für OÖ, meint, es sei für die Wahl eines Fachbereiches entscheidend, ob die allgemeinen Arbeitsbedingungen dort passen und wie gut das jeweilige Team in der Abteilung zusammenarbeitet. In der Allgemeinmedizin seien zudem nach wie vor massive Systemerhalter-Aufgaben üblich, die das Fach unattraktiv machen. „Dieses Problem wird sich hoffentlich mit dem Facharzt für Allgemeinmedizin in Luft auflösen“, wünscht sich die Jungärztin. Sie will aber vor allem, dass kein falscher Eindruck entsteht: „Die jungen Ärztinnen und Ärzte wollen nicht deshalb Teilzeit arbeiten, weil sie nicht leistungsbereit wären. Eine 40-Stunden-Woche im Krankenhaus ist de facto eine 48h oder 55h-Woche. Viele wollen einfach nur eine „echte“ 40-Stunden-Woche, wie in anderen Berufen auch.“ Dr. Arno Melitopulos, Leiter des Fachbereiches Versorgungsmanagement 3 in der ÖGK, betont, dass es in Zukunft Aufgabe der Sozialversicherung sei flexible Marktangebote zu schaffen, etwa bei den Möglichkeiten eine Kassenstelle zu teilen. Als wichtige Stellschrauben zur attraktiveren Gestaltung von Kassenstellen sieht er auch die Honorierung und Hilfestellungen bei der Praxisgründung.

Am Podium und im Publikum herrschte über Eines Einigkeit: Man werde in Zukunft nicht mehr alles im Gesundheitssystem so anbieten können wie bisher und müsse das auch ehrlich an die Menschen kommunizieren. Patientenlenkung komme hier aber vor Leistungskürzung!

Mehr zum Thema finden Sie in der Zeitschrift für Gesundheitspolitik