Vom angeblichen "Durchbruch" in der Primärversorgung

Der Herr Gesundheitsminister verkündete zuletzt vollmundig, dass Primärversorgungseinheiten (PVEs) in ganz Österreich wie Schwammerl aus dem Boden schießen, seit er das Mitspracherecht der Ärztekammer beseitig hat.

Fotocredit (c) adobe stock / Andrii Yalanskyi

Als Oberösterreicher kann man dabei nur den Kopf schütteln. Oberösterreich war das erste Bundesland, in dem sich ein PVE etabliert hat. Damals noch auf einer provisorischen Rechtsgrundlage, weil der Gesetzgeber mit dem Primärversorgungsgesetz säumig war. In den letzten Jahren haben sich in Oberösterreich bisher immerhin 11 PVEs etabliert. Die hauptsächliche Unterstützungsarbeit dabei haben die Funktionäre und Juristen der Ärztekammer geleistet, die jedes dieser Projekte mit großem Engagement und Kompetenz begleitet haben. Von einem Widerstand der Ärztekammer kann daher keine Rede sein. Im Gegenteil, wir waren der Motor dafür, dass es in Oberösterreich so viele PVEs gibt.

Auch historisch gesehen stimmt es nicht, dass die Ärztekammern die Entwicklung hin zu Gemeinschaftsordinationen verzögert hätten. Nüchtern betrachtet sind die Primärversorgungseinheiten nichts Anderes als ärztliche Gruppenpraxen, die bereits seit 2001 (im Übrigen auch über Betreiben der Ärztekammern) gesetzlich zugelassen wurden. Die praktische Umsetzung verlief nur deshalb so zögerlich, weil der Hauptverband der Sozialversicherungsträger (der Vorläufer des jetzigen Dachverbandes) für die Krankenkassen die Parole ausgegeben hatte, dass der wirtschaftliche Vorteil solcher Zusammenschlüsse bei den Kassen landen müsse. Die Kassen haben daher lange Zeit Gruppenpraxen nur zugestimmt, wenn diese bereit waren, Honorarabschläge zu akzeptieren. Viele Ärzte, die zusammenarbeiten wollten, mussten daher aus wirtschaftlichen Gründen darauf verzichten. Verzichten mussten auch die Patienten, weil die mit den Gruppenpraxen erwarteten Vorteile, wie längere Öffnungszeiten, damit auch nicht umgesetzt werden konnten.

Das Neue an den PVEs ist nicht die rechtliche Konstruktion, die es schon seit über 20 Jahren gibt, sondern ein Umdenken bei den Krankenkassen. Waren früher Zusammenschlüsse von Ärzten mit einem „Strafzoll“ belegt, so werden die Gruppenpraxen jetzt unter dem neuen Etikett des „PVE“ gefördert. Die Förderung besteht allerdings auch nicht in einem höheren Honorar, sondern daraus, dass die Anstellung und Einbeziehung von diplomierten Krankenpflegern, Logopäden, Physiotherapeuten oder Sozialarbeitern finanziert wird. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen, weil es das Leistungsspektrum der Ordinationen erweitert, für die Patienten die Wege verkürzt und Spitäler entlastet.

Wenn man bei den PVEs wirklich etwas verbessern will, dann gäbe es zwei Stoßrichtungen, die die Gesundheitspolitik aber weiterhin vernachlässigt:

1. PVEs eignen sich nur für Ballungsräume. Daneben muss es, vor allem am Land, weiterhin Einzelordinationen geben. Es bringt nichts, wenn man am Land mehrere Kassenstellen in eine zentrale PVE zusammenzieht. Man erreicht damit vielleicht längere Öffnungszeiten. Das allerdings um den Preis, dass die Patienten wesentlich weitere Wege haben. Es werden daher auch weiterhin neben Gruppenpraxen und PVEs Einzelordinationen ihren Platz haben und für die Versorgung der Bevölkerung wichtig bleiben. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die Leistungserweiterungen, die bei den PVEs durch die Finanzierung von Physiotherapeuten, Masseuren, Sozialarbeitern, Logopäden und Krankenpflegern erreicht wurde, Patienten von Einzelordinationen nicht zugutekommen sollen. Einzelordinationen müssen daher im Interesse ihrer Patienten genau dieselben Leistungsmöglichkeiten haben und in derselben Weise gefördert werden wie PVEs.

2. PVEs gehören in die Hand von Ärzten. Schon seit langem bemühen sich institutionelle Anleger, in den Gesundheitsmarkt einzudringen, weil man sich davon Profite verspricht. In Deutschland hat man die Erbsünde begangen, institutionelle Anleger in die ambulante Kassenmedizin einzubinden. Ergebnis: immer mehr Arztordinationen werden mittlerweile von großen Ketten übernommen, die Aktiengesellschaften gehören, bei denen es weniger um die Interessen der Patientinnen und Patienten geht, als vielmehr um die Interessen der Aktionäre. Es macht aber auch keinen Sinn, die ambulante Medizin zu verstaatlichen, indem PVEs durch die Kasse selbst oder durch letztendlich den Ländern gehörenden Krankenanstaltengesellschaften betrieben werden. Verstaatlichung war, siehe Großbritannien, für das Gesundheitssystem auch noch nie die ideale Lösung. Die Versorgungsqualität hängt vielmehr auch in Zukunft daran, ob es gelingt, das öffentliche Gesundheitssystem für engagierte Ärztinnen und Ärzte attraktiv zu machen.

Präsident Dr. Peter Niedermoser, Obmann des LIG

Fotocredit (c) adobe stock / Andrii Yalanskyi