Medizintourismus – die weltweite Suche nach Operationsschnäppchen

Der Medizintourismus ist eine stark wachsende Branche und lässt sich schon lange nicht mehr auf kosmetischen Operationen, Oligarchen und Personen aus dem arabischen Raum reduzieren. Nach Schätzungen der Medical Tourism Association (MTA) reisen jährlich rund 14 Millionen Behandlungswillige zu einer medizinischen Behandlung ins Ausland. Laut Analyse des Kreditkartenanbieters Visa wurden 2019 weltweit rund 400 Milliarden Dollar umgesetzt. Die Zahlen sind tatsächlich beachtlich, Tendenz weltweit steigend.

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Folglich ist es nicht verwunderlich, dass sich rund um die Zielgruppe „internationale Patienten“ ein eigener Wirtschaftszweig (spezialisierte Reiseagenturen, Ambulanzflüge, Dolmetscher, Unterbringung von Begleitpersonen, …) gebildet hat. Laut dem Statistischen Bundesamt Deutschlands waren die Top-10 -Ziele 2019, also vor Ausbruch der Corona-Pandemie, folgende:

Mit Abstand das beliebteste Land für Behandlungssuchende ist die USA, gefolgt von Südkorea, der Türkei, Thailand und Deutschland. In Deutschland sank die Zahl internationaler Patienten aufgrund der Corona-Pandemie. Schätzungen zufolge reisten 2021 rund 155.000 Personen für eine stationäre oder ambulante Behandlung in unser Nachbarland. Deutschland erzielte in dieser Zeit Einnahmen von etwa 750 Millionen Euro. 

Betrachtet man Patientendaten deutscher Kliniken, so zeigt sich, dass fast 65 Prozent der Patienten aus den Nachbarstaaten kamen. An erster Stelle steht mit deutlichem Abstand Polen (10.383 Patienten), gefolgt von Frankreich (5.958 Patienten) und 2.400 arabischen Patienten (Verband deutscher Kliniken)v. Die Zahl der Patienten ist nach dem Abklingen der Corona-Pandemie wieder steigend. Allerdings ist zu beachten, dass in diesen Zahlen auch ungeplante Krankenhausaufenthalte während einer Reise eingerechnet sind. Schätzungen zufolge beträgt der Anteil geplanter Behandlungen von ausländischen Patienten in Deutschlands Krankenhäusern zwischen 40 bis 45 %. Für deutsche Kliniken bedeutet dies ein lohnendes Zusatzgeschäft, denn seit 1998 können Krankenhäuser ihren Mehrerlös, welcher bei der Therapie von Auslandspatienten entsteht, einbehalten. Schätzungen zufolge fließen in unserem Nachbarland dadurch jährlich rund 1,2 Milliarden Euro in die Kassen der Krankenhäuser. Ein Betrag, welcher durch Investitionen in die Infrastruktur der Häuser wiederum den Inlandspatienten zu Gute kommt. Auch die Schweiz hat ähnliche Zahlen zu bieten.

Für Österreich gibt es dazu nur fragmentierte Zahlen, da eine Unterscheidung zwischen geplanten und ungeplanten Krankenhausaufenthalten schwer möglich ist. Aus verschiedenen Presseberichten, wie jenen über die Behandlung des Emirs von Kuwait in Salzburg oder des deutschen Star-Torhüters Manuel Neuer in Tirol, weiß man, dass sich immer wieder internationale Patienten in Österreich gezielt behandeln lassen. Der Medizintourismus in Österreich beschränkt sich vorwiegend auf die rund 30 privaten Krankenanstalten. Dort beträgt der Anteil der ausländischen Patienten je nach Haus bis zu 15 %. Wer für eine medizinische Behandlung nach Deutschland, die Schweiz oder auch Österreich kommt, tut dies meist aus einer Kombination unterschiedlicher Gründe.

Generell lassen sich Medizintouristen in drei Gruppen einordnen:

Da gibt es jene Gruppe der Selbstzahler, die eine hohe Behandlungsqualität und ein gehobenes Ambiente suchen.

  • Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Personen, die sich bei elektiven Eingriffen gegenüber ihrem Heimatland Kostenvorteile erhoffen, beispielsweise Patienten aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland und Österreich, die für bestimmte Behandlungen nach Ungarn oder in die Türkei reisen.
  • Zur dritten Gruppe werden all jene Patienten gezählt, welche aufgrund langer Wartelisten im eigenen Land zur ärztlichen Behandlung ins Ausland reisen.

Weitere Treiber dieser Entwicklung sind:

  • eine bestimmte Leistungsschwäche des Gesundheitssystems im Heimatland
  • die zunehmende Privatisierung der Gesundheitssysteme verbunden mit sinkenden Rückerstattungen
  • generell eine steigende Patientenmobilität
  • fehlende rechtliche Zulassung in den Herkunftsländern (Fruchtbarkeitsbehandlungen, bzw. assistierte Reproduktionstechnologien, …)
  • die Behandlung ist im Herkunftsland nicht möglich
  • eine verzweifelte Hoffnung auf Heilung
  • die relativ einfache Organisation internationaler Reisen

Risiken und Nebenwirkungen

Viele Patienten, die eine Operation zu niedrigeren Kosten im Ausland anstreben, gehen bei ihrer Behandlung mancherorts Risiken ein, deren Folgen sie sich vielfach nicht bewusst sind. Der internationale Medizintourismus ist intransparent und lockt mit vielversprechenden All-inclusive-Paketen. Faktoren wie

  • die Frage der Qualität medizinischer Leistungen,
  • die Durchführung der Anschlussbehandlung und Nachsorge,
  • der Umgang mit Komplikationen infolge des Eingriffes,
  • eventuelle sprachliche Barrieren, verbunden mit der Gefahr von Fehldiagnosen,
  • geringe Überprüfbarkeit der Fachkompetenz des Operateurs,
  • Umgang mit Behandlungsfehlern

werden allzu oft außer Acht gelassen.


Mag. Sabine Weißengruber-Auer, MBA
Linzer Institut für Gesundheitssystem-Forschung
www.ligforschung.at